
Wer sind wir?
Die DEUTSCHE QIGONG GESELLSCHAFT e.V.
Auszug aus einem Vortrag von Herrn Lin Zhongpeng am 9./10.11.96 in Regglisweiler, übersetzt von Arpad Romandy, zusammengefaßt von Heike Specht
Die genauere Betrachtung der Zusammenhänge von Tian (Himmel), Di (Erde) und Ren (Mensch) verdeutlicht die Grundlagen des Qigong. Sie zeigt die Essenz der zahlreichen Werke, die zu diesem Thema geschrieben wurden, d.h. diese Zusammenhänge sind die Essenz des gesamten Qigong.
Nach alter chinesischen Vorstellung gibt es eine direkte Beziehung, eine Resonanz zwischen dem Himmel, also dem gesamten Universum und dem Menschen. Diese Wechselbeziehung ist auch Inhalt des Yi Jing (Buch der Wandlungen), das ein Orakelbuch und gleichzeitig ein philosophisches Werk ist. Dort gibt es einen sehr berühmten Spruch von Konfuzius (geb. 551 v.Chr.), der besagt, daß die Weisen der Vorzeit ihren Blick nach oben gerichtet und versucht haben, die Schrift des Himmels zu lesen, daß sie ihren Blick nach unten gerichtet und versucht haben, die Verhältnisse der Erde zu ergründen und daß sie in der Mitte versuchten, alles mit dem menschlichen Tun Zusammenhängende zu verstehen. Im chinesischen Denken geht es also darum, die Harmonie zwischen Himmel, Erde und Mensch herzustellen und diese Beziehung versuchen wir jetzt auch für das Qigong verständlich zu machen. Betrachten wir dafür zunächst die einzelnen Ebenen (s.a.Abb.1)
Abb. 1
Die mittlere Ebene (Erde) ist die Ebene der menschlichen Gesellschaft. Bei Ihrer Betrachtung sind zwei Faktoren von Bedeutung:
Was wir jetzt gerade angesprochen haben, leitet schon zu einer anderen Ebene über, der des Menschen. Hier stellt sich das selbe Problem, es wird nur in anderen Begriffen ausgedrückt. Den einen, Xing (links) gibt man im Deutschen am besten mit dem Begriff "Wesen" wieder und den anderen, Ming (rechts) am besten mit dem Begriff "Leben". Das ist wiederum nichts anderes als Materie und Geist aber in Beziehung zum menschlichen Leben.
In der menschlichen Gesellschaft ist die Materie die Basis des gesellschaftlichen Lebens und beim Menschen ist der Körper die Basis des menschlichen Lebens. Der Körper ist analog zu setzen zur Welt der Materie in der menschlichen Gesellschaft und dem Geist einer menschlichen Gesellchaft entspricht der Geist des Menschen, der die Basis seines gesamten inneren Wesens ist.
Hier ist etwas anzumerken, was sehr wichtig ist. Das linke Wort heißt "Xing", das rechte heißt "Ming". Beide sind eigentlich ein Wort: "Xing Ming". Dieser Begriff wird meistens als "Leben" übersetzt und das ist auch richtig so. Es bedeutet ganz einfach Leben in der chinesischen Sprache. Nur geht in der Übersetzung verloren, was in diesem Zeichen noch angelegt ist. Beide Zeichen heißen eigentlich Leben aber das Zeichen Xing wird durch ein Herz klassifiziert. Und Herz steht im Chinesischen für Geist, für Bewußtsein. Es soll damit angedeutet werden, daß dieser Begriff, Xing Ming Leben ein Lebewesen betrifft, das einen Geist, das ein Bewußtsein hat und in dem Sinn ist dieser Begriff auch im Chinesischen eigentlich nur auf Menschen anwendbar, weil im Zeichen "Leben" bei Tieren, der linke Teil im Zeichen Xing fehlt. Das wird dann auch anders ausgesprochen (Sheng). Nur beim Menschen hat man diese Zweiheit von Lebenskraft und von entwickeltem Bewußtsein und das soll in diesem chinesischen Zeichen angedeutet werden.
Es spiegelt einerseits die Tatsache, daß der Mensch als materielle Basis einen Körper hat. Das ist aber nicht alles, was das menschliche Leben ausmacht. Der Mensch hat geistige Funktionen, die über die der Tiere hinausgehen. Diese unterscheiden den Menschen von den Tieren und werden ganz gesondert in diesem Zeichen ausgedrückt.
Für die Ebene des Kosmos sind die entsprechenden Begriffe Dao und De. Diese zwei Begriffe sind aus dem Dao De Jing bekannt. Sie werden im Moment in China hauptsächlich, bei uns weniger als moralisches Verhalten verstanden, d.h. Dao und De heißt in erster Linie, man ist brav und tut nichts Schlimmes. Der ursprüngliche Sinn der Worte ist aber ein ganz anderer.
Das Wort Dao besteht aus zwei Teilen. Der linke Teil, das erkennt man ganz deutlich, ist ein Pferd und zwar ein in Bewegung begriffenes, galloppierendes Pferd. Der rechte Teil ist ein menschlicher Kopf. Dieser wird aus zwei Bestandteilen zusammengesetzt. Das obere sind zwei Ohrmuscheln, das untere ist ein Auge. Damit soll angedeutet werden, daß jemand einerseits sehr scharf und gut hören und andererseits sehr scharf und gut sehen kann. Und das führt dann zu zwei weiteren Zeichen, die in Ihrer Verbindung "Intelligenz" heißen. Die Vorstellung ist, daß sowohl durch die Augen als auch durch die Ohren mehr und besser Informationen aufgenommen werden können. Und das schärft den Verstand, den Geist. Das macht einen Menschen zu jemandem, der wach, klar und intelligent ist.
Daraus kann man den Begriff Dao verstehen. Dao ist vom Zeichen her ein gescheiter Kopf, der ein schnelles Pferd dirigiert, und das wird im größtmöglichen Rahmen verstanden. Ein gescheiter Kopf, der sich im größtmöglichen, kosmischen Rahmen orientieren und auch die Bewegung des Kosmos leiten kann. Das führt zu der Idee des Dao als des grundlegenden Gesetzes, das dem ganzen Universum, dem ganzen Kosmos innewohnt. Der Begriff "Dao" ist also das kosmische Gesetz, das allem Seienden zugrundeliegt.
Der Begriff De wird normalerweise mit "Tugend" übersetzt, bedeutet aber etwas anderes, nämlich das, was man vom kosmischen Gesetz mitbekommt. Es bedeutet "das Verständnis" oder "das, was einem an Verständnis dieses großen, allumfassenden Dao zugänglich ist". Es wird in einem alten chinesischen Wörterbuch auch gleichgesetzt mit dem Wort "bekommen".
Es gibt also das große Dao und das, was ich als Individuum davon mitbekomme, das nennt man mein De.
Bei der Betrachtung dieser drei Ebenen können sie allerdings nicht getrennt für sich stehen bleiben. Es gibt in diesem Bild auch senkrechte Verbindungen.
Die 7 Emotionen, die die Harmonie von Geist und Körper in erster Linie stören (s. Prof. Lin's Erläuterungen zu ursprünglichem und erworbenem Geist), treten hauptsächlich im gesellschaftlichen Kontakt auf. Der Mensch kann nicht als Individuum gesondert existieren, sondern muß sich am gesellschaftlichen Umfeld orientieren und vor allem schauen, daß seine eigene Entwicklung der der gesellschaftlichen entspricht. Und der größte gesellschaftliche Rahmen, den es gibt, ist im Moment zumindest die ganze Welt. Das wird von Laotse ausgedrückt im Dao De Jing mit dem ganz einfachen Satz: "Der Mensch richtet sich nach der Erde. Der Mensch nimmt sich die Erde als Beispiel."
Aber es genügt nicht, sich nur vom Individuum her an der Gesellschaft zu orientieren. Das ist noch bei weitem zu eng. Man muß noch einen Schritt weiter gehen. Darum heißt es: "Die Erde nimmt sich den Himmel als Beispiel". Es genügt nicht, sich nur in der menschlichen Gesellschaft zu bewegen, letztendlich muß man sich am gesamten Universum, am kosmischen Gesetz orientieren. Nur wenn eine Gesellschaft in Einklang ist mit dem Dao und dem De, kann sie zum Blühen kommen. Wenn sie diese Prinzipien zu vergessen beginnt, geht sie dem Niedergang entgegen. Sowohl der Mensch als auch die Gesellschaft brauchen als oberstes Prinzip den Himmel, brauchen Dao und De als Richtschnur.
Die Zusammenhänge werden auch noch in anderen im Chinesischen verwendeten Begriffen deutlich. Die Begriffe "Kosmos" oder "Universum" werden hier im größten Rahmen verwendet. Das wird durch zwei Zeichen ausgedrückt: "Yu" und "Zhou". Das Zeichen Yu bedeutet die 6 Richtungen: oben, unten, links, rechts vorn und hinten. Richtung heißt hier, daß es ins Unendliche geht, also unendlich nach vorn usw. "Zhou" bedeutet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das chinesische Wort für Universum, für Kosmos spricht also von einer unendlichen RaumZeit. Das Universum ist der größte Zusammenhang. Es wird auch bezeichnet als das "große Universum".
Dann haben wir das mittlere Universum. "Mittleres Universum" bedeutet die menschliche Gesellschaft. Es gibt aber noch einen anderen Begriff auf chinesisch, der heißt "Welt". Dieses Wort besteht wieder aus zwei Zeichen, "Shi" und "Jie". Shi bedeutet einen Zeitrahmen von 30 Jahren, Jie einen begrenzten Raum. Wir haben also eine sehr ähnliche Vorstellung wie beim Begriff des Kosmos, Raum und Zeit sind verbunden, nur diesmal drücken die beiden Worte die Beschränktheit aus.
Das Dao besteht aus Yin und Yang. Yin ist immer der begreifbare, formhafte Aspekt der Geschichte, Yang immer der ungreifbare und formlose. Schauen wir uns jetzt den Begriff des körperlichen Lebens an. Der Körper ist etwas, was man angreifen kann, was Spaß macht, wenn es angefaßt wird. Das gehört zum YinTeil. Der Geist ist schwer zu greifen. Das gleiche gilt für die Welt der Materie. Die ganze materielle Welt ist natürlich etwas, was man anfassen kann. Das kann man aber nicht mit dem Geist machen, der in einer Gesellschaft herrscht. Das Dao ist das ungreifbare, unsehbare, unhörbare Weltgesetz, das allem innewohnt. Das De ist wiederum etwas Greifbares, weil es sich ja verwirklicht, wenn ich ein Verständnis des Dao erreicht habe. Es wird umgesetzt und ich kann körperlich nachvollziehen, was sich dadurch verändert hat. Deshalb ist es der YinAspekt, das, was den Sinnen zugänglich ist. Wir haben den YinAspekt, der mit dem FülleAspekt gleichgesetzt wird und wir haben den YangAspekt, der mit dem Aspekt der Leere gleichgesetzt wird.
Yin und Yang wurzeln ineinander. Dieser Aspekt des Yin und Yang ist in diesen ganzen 6 Begriffen enthalten. Diese 6 Begriffe sind der Kern, das innerste Wesen des ganzen chinesischen Qigong.
Das Schema (Abb.1) ist also die Essenz des chinesischen Qigong. Es enthält aber noch viele Details, die nicht besprochen sind. Wichtiger ist jedoch, daß die chinesische QigongTheorie keine Theorie um der Theorie willen ist, sondern daß sie immer eng mit der Praxis verbunden ist. Das heißt, man versucht, die Theorie zu verstehen und dann im praktischen Üben umzusetzen.
Das chinesische Denken sagt: Himmel und Mensch sind eine Einheit. Das bedeutet konkret: Der Mensch lebt nicht nur für sich allein, macht auch Qigong nicht nur für sich allein, um fit zu sein, um sich in Ordnung zu bringen, sondern versucht, durch das Qigong eine viel größere Einheit zu erreichen. Versucht einerseits als Mensch mit dem gesellschaftlichen Umfeld in Einklang zu kommen und letzten Endes mit dem ganzen Universum. Das ist gemeint mit 'Himmel und Mensch sind eins', daß der Mensch versucht, in der Übung des Qigong die Harmonie oder den Einklang mit allem Existierenden zu erreichen.
Fortsetzung im nächsten Heft: Umsetzung der Grundsätze des Qigong - Konsequenzen für gutes Üben