10.09.2001

Qigong und Krebs: Ein Erfahrungsbericht

Mehr als fünf Jahre ist das jetzt her, dass ich mit Qigong intensiv angefangen habe. Fünf Jahre sind eine lange Zeit für jemand, der Krebs hatte. Da gibt es Statistiken über die Fünfjahres-Überlebensraten nach malignen Tumorerkrankungen. Ich habe die fünf Jahre geschafft und fühle mich wieder ziemlich gesund.

Also, ich hatte Krebs, an der Zunge, hatte einen guten Chirurgen, der es schaffte, mir meine Zunge so zu operieren, dass sie hinterher nicht gelähmt war und dass ich heute wieder sprechen kann. Danach kam eine Radio-Chemotherapie, also einmal Chemo morgens und dann zweimal am Tag Bestrahlung. Das Ganze dauerte sechs Wochen lang, mit einer Pause von zwei Wochen dazwischen, damit sich die Schleimhäute nicht vollständig ablösten. Keine Geschmacksempfindung mehr, nur noch Schmerzen...

Als das vorbei war, fuhr ich erst mal in Urlaub ans Meer, dann zur Nachsorge in eine onkologische Klinik. Dort, in der Habichtswaldklinik in Kassel, hörte ich dann einen Vortrag von Qiduan Li über Guolin Qigong. Ich hatte früher schon mal so ein bisschen mit Qigong angefangen. Aber jetzt kam etwas ganz anderes!

Zum ersten Mal in der ganzen Zeit meiner Krankheit spürte ich, dass ich hier endlich selbst etwas tun konnte und von meiner Rolle als Patientin, als leidender und stets behandlungsbedürftiger Mensch wegkam.

Keine Frage, ich belegte das Wochenendseminar. Diese Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen! Ich lernte das Windatmen, die Vorbereitungsübungen und das Qigong-Gehen - im ersten Kurs erst mal nur eine Form. Es war eh' schwierig genug, die Füße richtig zu setzen, gleichzeitig die Arme zu bewegen "wie Wasser fließt", den Kopf zur Seite zu wenden, mal nach rechts, wenn man mit dem linken Fuß begann, mal nach links, wenn der rechte Fuß zuerst dran war. Und dann noch die richtige Atmung!

Dass diese Art des Atmens tatsächlich das Atemvolumen erhöht, merkte ich schon bald. Nicht bei den Übungen selbst, da fällt es nicht auf, weil man ja sehr langsam geht. Nein, ich spürte das bei meinen Spaziergängen bergauf. Die Kasseler Wilhelmshöhe - praktisch der Hausberg der Klinik - konnte ich bald ohne Anstrengung und Atemnot recht schnell hinaufgehen.

Und es tat mir unendlich gut, soviel Zeit nur für mich zu haben. Natürlich war das Üben anfangs anstrengend, auch dann immer wieder, wenn ich eine neue Übung lernte. Aber Qiduan Li hatte uns eingeschärft, zwei bis drei Stunden am Tag im Freien unsere Gehübungen zu machen, und ich tat das gerne! Mir wurde immer klarer dabei, wie sehr ich mich früher durch meinen Zeitplan unter Druck gesetzt hatte. Jetzt nahm ich mir Zeit für mich und wurde immer zufriedener dabei. Natürlich war das in der Klinik einfacher als zuhause, wo man ja für andere Dinge auch noch verantwortlich ist. Aber für mich war es immer eine Frage der Priorität. Ich wollte schließlich gesund werden.

Etliche aus unserem Kurs sind nicht dabeigeblieben. Der Anspruch, mehrere Stunden am Tag zu üben, war für die einen eine Zumutung, für andere zu schwer zu organisieren. Ich habe damals viele Gespräche geführt, um ihnen klarzumachen, dass es ihrer Familie oder ihrem Chef nicht viel helfen würde, wenn sie zwar jetzt mehr Zeit für sie hätten, aber letztendlich nicht gesund werden würden. Da sind manchmal radikale Schnitte nötig! Es geht beim Krebs immer um Leben oder Tod.

Aber nicht für alle ist das gleiche gut. Ich jedenfalls bin froh, mich damals für diesen intensiven, zeitaufwendigen Genesungsweg entschieden zu haben. Ich habe aber, auch das muss gesagt sein, nie auf Qigong alleine gesetzt, sondern mir im alternativmedizinischen und therapeutischen Bereich viel Hilfe geholt. Und seit ich mit Qigong (zunächst nur Guolin Qigong) angefangen habe, spüre ich, wie sehr es mich körperlich und seelisch aufbaut - immer wieder und immer mehr und in immer neue Dimensionen hinein.

Der Rest ist schnell erzählt. Ich habe von Qiduan Li sechs Schrittfolgen des Guolin Qigong gelernt, in vielen Seminaren, dazu die Stimmeinsatzübung und etliche kleine Übungen für zwischendurch.

Später kamen andere Formen des Qigong dazu, viele stille Formen, die ich von Zi Chang Li in München lernte, dann machte ich die Ausbildung in medizinischem Qigong. Und immer wieder Kurse und Workshops bei verschiedenen Lehrern und Meistern. Man wird ja neugierig und will sehen, was die anderen so machen.

Für mich habe ich heute ein kleines Repertoire von Lieblingsübungen, die ich je nach Lust und Laune mache. Es sind Atemübungen dabei und spontane Übungen, immer mehr stille Formen, Ableitungs-, Sammlungs- und Kultivierungsübungen. Am dringlichsten ist mir der "große Baum" empfohlen worden, von einem anderen chinesischen Meister, Xu Ming Tang, dem ich sehr viel zu verdanken habe. Er hat mich einen Monat lang fast täglich behandelt, weil trotz allen Übens der Qi-Strom im Brustraum nicht richtig fließen wollte.

Seitdem ist mir klar, dass wir durch unsere Qigong-Praxis zwar sehr weit kommen können, dass es aber doch Zeiten und Situationen gibt, wo wir Hilfe von anderen brauchen, sei es von Lehrern, die uns den richtigen Weg weisen, sei es von Heilern, die notwendige Reparaturen in unserem Energie-Haushalt vornehmen können.

Ganz zu schweigen von der spirituellen Dimension, in der wir uns mit den richtigen Helfern auch leichter bewegen lernen.

Mein Weg wird in diese Richtung weitergehen. Ich will die Möglichkeiten des Qigong ganz ausloten. Inzwischen lasse ich mir aber wieder viel Zeit für anderes - manchmal auch, weil mir die Fortschritte zu schnell gegangen sind. Mein analytischer Geist oder die Trägheit des Körpers können mit den Qigong-Erfahr-ungen der "Oberstufe" oft noch nicht Schritt halten. Aber ich bin auf dem Weg...

Margot Müller, München