10.03.2001

Qigong in den Kampfkünsten

Die Stile des Kung Fu und ihr Qigong
Die Shaolin-Tradition - Bodhidharmas grundlegende Übungsreihen
Hartes und Weiches Qigong
Zhan-zhuang-gong  -  Pfahlübungen innerhalb der Kampfkünste
Die Fünf Tiersysteme des Shaolin
Das Bagua Zhang
Das Taijiquan
Atmung im Kung Fu
Atmung in Verbindung mit Lauten:
   1. Liu-zi-jue - das Geheimlied der Sechs Laute
   2. Der Kampfschrei
Qigong zur Entwicklung von Sensibilität in den Kampfkünsten
Die aktuelle Situation
 

Das Qigong wurde früher in die sogenannten Fünf Schulen eingeteilt. Neben der daoistischen, der buddhistischen, der konfuzianischen und der medizinischen Ausrichtung gab es auch  umfangreiches aber bei uns noch wenig bekanntes Wissen des Qigong in den traditionellen Kampfkünsten. Der folgende Aufsatz gibt eine Einführung in die verschiedenen Inhalte und Funktionen.

Das traditionelle Kung Fu, d.h. die Gesamtheit der Chinesischen Kampfkunstüberlieferung, so wie sie ihren Ursprung in der chinesischen Shaolin-Klosterkultur hat, hatte eine Äußere Schulung und eine Innere Schulung. Die Äußere Schulung gliederte sich wie folgt: Es wurden Stellungen, Fausttechniken, Blocks, Ellbogentechniken, Knietechniken, Kopftechniken, Schultertechniken und Tritte geübt. Ferner mußte man lernen: Falltechniken, Hebel, Würfe und Waffen. Die Form, die man vor allem heute durch Aufführungen kennt, war nur einer von vielen Aspekten einer langjährigen und mühsamen Ausbildung. Dehnungsübungen im Sinne der Meridianlehre kamen hinzu, bleiben aber in dieser Einführung unberücksichtigt.

Die Innere Schulung beinhaltete neben der Ernährung vor allem die Meditation des Chan, das Qigong in seinem inneren und äußeren Aspekt (siehe unten) sowie die Kenntnisse der Vitalpunktstimulierung für den Einsatz im Kampf, wie auch zur Ersten Hilfe (jap.: kuatzu).

Ausbildung und Übungspraktiken des Qigong innerhalb der Kampfkünste gehören zum Faszinierendsten, was die chinesische Kultur hervorgebracht hat. Es wurde von fünf Kategorien von Wirkungen ausgegangen:

  1. Geistig: Sie dienen dem persönlichen Wachstum und fördern die Harmonie mit dem Dao. Angestrebt werden Weisheit und intuitives Verstehen.
  2. Seelisch: Sie gleichen die Emotionen aus und helfen, gelassen und ruhig reagieren zu können. Dadurch verhindern sie Streß, Unausgeglichenheit und deren Folgen. Innerer Frieden, Zufriedenheit und Glück können erreicht werden.
  3. Intellektuell: Konzentration und Denkfähigkeit nehmen zu. Aufgaben und Probleme können konsequenter und besser gelöst werden.
  4. Energetisch: Energieleitbahnen des Körpers werden gestärkt, das Qi (die Energie) fließt kräftiger und kann so Krankheiten und Verletzungen verhindern. Der Mensch lernt, die Kräfte zwischen Himmel und Erde zu verstehen, sie in seinem Körper zu kontrollieren und ein Teil von ihnen zu werden.
  5. Körperlich: Muskeln, Sehnen, Bänder und Knochen werden gestärkt. Der Körper bleibt bis ins hohe Alter geschmeidig und beweglich. Auch das verhindert Krankheiten, altersbedingte Leiden und erhöht das Wohlbefinden. Körper und Geist gehören zusammen; nur eines zu üben führt genauso ins Abseits wie gar keine Übung.

 

(nach: Gabi Lind, Qigong in den Kampfkünsten)

Die Stile des Kung Fu und ihr Qigong

In alter Zeit entwickelte jeder Meister einen Stil, der zu seinem Körper, seinen Möglichkeiten und seinem Wesen paßte. Er erfüllte damit nichts weiter als den Auftrag seiner ihm innewohnenden Natur. Stile gehen meistens von einer Vision aus, folgen philosophischen Prinzipien oder sind dem Kampfstil eines Tieres entlehnt, zu dem man ein besonderes Verhältnis hat. In der Regel folgen sie allen dem yin und yang, d.h. sie enthalten weiche und harte Anteile. Ein Stil wie das Taijiquan oder das Bagua Zhang enthält in erster Linie Techniken des Ausweichens und der Verteidigung; Stile wie das Baji Quan (Kampfkunst der Acht Richtungen) oder der Shaolin-Tiger-Stil hat viel Härte im Ausdruck und verfolgt die Taktik, wie ein Fels in der Brandung zu stehen und mittels Härte die Techniken des Gegners zu durchbrechen. Die meisten anderen Kampfkünste, von denen es mehrere Hundert gibt, sind eine Mischung von beidem. Abhärtung und Kraftübung sind in allen Kampfkünsten - mehr oder weniger ausgeprägt - zu finden. Jeder Stil hat deshalb sein eigenes Qigong entwickelt.

Die Shaolin-Tradition - Bodhidharmas grundlegende Übungsreihen

Bis zum 6. Jahrhundert hatten die Übungen, die man heute unter dem Sammelbegriff des Qigong zu fassen sucht, keinen nennenswerten Einfluß auf die Kampfkünste ausgeübt. Was zu dieser Zeit als „Kampfkunst“ galt, war rein kriegerisch geprägt und genoß auch kein besonderes Ansehen am Hof und in der Gesellschaft. Bodhidharma, der als der 28. Patriarch des indischen Mahayana-Buddhismus im 6. Jahrhundert in Guangzhou landete, um die strengen Formen des Versenkungsbuddhismus (Chan) zu verbreiten, war es auch, dem man die ersten Übungen zuschreibt, die für die Entwicklung und Verfeinerung der Kampfkünste maßgebend wurden.

Als Bodhidharma als erster Patriarch des chinesischen Chan, als Ausländer!, in das Shaolin-Kloster eintrat, erschrak er über die nachlässig dösenden Mönche und über die Art und Weise, wie sie ihre Meditation verrichteten. Ihre Muskeln waren erschlafft und der Körper ohne Haltung und daher nicht in der Verfassung, eine wie auch immer geartete strenge Meditation durchzustehen. Zwei Übungskomplexe, eingeführt zur Stärkung der Mönche, stammen von ihm: Yi-jin-jing (Klassiker der Muskel- und Sehnenstärkung) und Xi-sui-jing (Klassiker der Knochenmarkwaschung). Bodhidharma lernte diese Übungen wahrscheinlich von herumziehenden daoistischen Mönchen, evtl. floß auch yogisches Wissen aus seiner Heimat in die Übungen hinein. Das Weitergeben und tägliche Üben kräftigte die Mönche, brachte Durchhaltevermögen und Ausdauer verbunden mit mentaler Ausgeglichenheit.

536 n. Chr. starb Bodhidharma. Was folgte, war ein Aufblühen der Tang-Dynastie und der buddhistischen Einflüsse. Obwohl die beiden Methodenzyklen Yi-jin-jing und Xi-sui-jing ursprünglich nur Übungen zur energetischen und spirituellen Perfektion der Mönche waren, wurden sie doch die Basis aller asiatischen Kampfkunststile.

Beide Zyklen waren nur auf die Shaolin-Klosterkultur begrenzt und eingebaut in den rituellen Alltag. Außerhalb wußte man nicht davon oder betrachtete die körperlichen Übungen mit Argwohn. Über Jahrhunderte wurden diese beiden Systeme geübt, ab dem 14. Jahrhundert allerdings begann der Einfluß abzunehmen oder ging ganz verloren. Erst in der Qing-Dynastie (1644-1911), als sich die Kampfkunstmeister in Geheimbünden gegen die Mandschus organisierten, wurden die alten Lehren des Bodhidharma wieder aufgegriffen und stark verbreitet.

Die überlieferten Übungen bestanden ursprünglich aus nicht kämpferischen Haltungen und Bewegungen, begleitet mit einer ausgefeilten Atmung und Geistlenkung. Später fügte man sie in die kämpferischen Bewegungen ein, um die aggressive Aktivität der direkten Kampftechniken auszugleichen und um den inneren Qi-Fluß nicht durch Ungleichgewicht zu unterbrechen. Als solche wurden sie in alle späteren Stile überliefert.

Grundsätzlich unterscheidet man in den Yi-jin-jing eine innere und eine äußere Übungsrichtung einer jeden Bewegung. Die äußere Richtung wird von den Anfängern geübt. Der Schwerpunkt liegt auf Körperbeherrschung, Beweglichkeit und Stärkung von Haut, Muskeln, Knochen und Bindegewebe. Dabei wird sehr viel Wert auf die Übung der Bauchatmung und der Bauchmuskulatur gelegt. Die innere Richtung ist den Fortgeschrittenen vorbehalten. Sie versuchen, so weit wie möglich, alle Kraft aus den Bewegungen zu lassen. Die Vorstellungskraft und der Geist sollen die Bewegungen leiten und so eine innere Kraft entwickeln. Das Hauptziel besteht darin, das Qi zu lenken und dadurch einen großen Teil der Muskelkraft zu ersetzen. Dabei sind vor allem die Energiekreisläufe ein wichtiger Bestandteil.

Sie müssen über Monate hinweg täglich mehrere Stunden geübt werden, um sie dann später in die Bewegungsübungen und Kampfkunsttechniken zu integrieren.

Nur die weit fortgeschrittenen Schüler wurden in die Techniken der Xi-sui-jing eingeweiht. Sie setzen ein hohes Maß an Qi und dessen Beherrschung voraus. Es handelt sich dabei ausschließlich um innere Übungen. Da sie sehr schwer zu erlernen sind und kaum ein Schüler ein genügend hohes Niveau in den Yi-jin-jing erreichte, sind sie fast verloren gegangen und werden heute nur noch von wenigen Meistern gelehrt.

Hartes und Weiches Qigong

Jede der Übungsreihen kann mit zwei verschiedenen Akzenten geübt werden. Die erste Technik ist die am meisten verbreitete und bildet mehr die Muskeln. Sie basiert auf der Vorstellung des Äußeren oder Harten Qigong (Ying-Qigong), die besagt, daß Qi durch Muskelanspannung zu lenken ist. Deshalb wird bei jeder Ausatmung angespannt und bei der Einatmung wieder entspannt (im Unterschied zu üblichen Atemmethoden des weichen Qigong). Dieser Wechsel ist wichtig, um das Qi zu bewegen. Bleiben die Muskeln ständig angespannt, kann Qi nicht fließen. Äußeres Qigong entwickelt also in erster Linie äußere, körperliche Stärke. Das Qi wird in den Muskeln gebildet und kann dann zur Erzeugung von Kraft oder zur Abhärtung eingesetzt werden. Neben den beiden erwähnten Methodenreihen gilt vor allem das Eisenhemd-Qigong (Tie-bu-shan) als Kategorie des Äußeren Qigong.

Die zweite Möglichkeit des Übens folgt mehr den Prinzipien des Inneren oder Weichen Qigong (Ruan-Qigong). Es ist das Qigong, das vor allem im Westen außerhalb der Kampfkunst bekannt geworden ist. Es hat Eingang in den Heilkünsten gefunden, dient als Alternative zum Sport, fördert die spirituelle Entwicklung etc. Das Qi wird hier nur durch die Vorstellungskraft gelenkt, die Muskeln bleiben dabei so entspannt wie möglich. Diese Methode stärkt die Muskeln nicht in dem Maße wie die äußere Übung, da die Anspannung nur mental geübt wird. Sie gilt aber als subtiler und schult vor allem die innere Stärke und den Geist des Übenden. Das Qi wird im unteren Dantian erzeugt, um dann die vorgeschriebenen Bewegungen innerhalb des Körpers auszuführen. Die Bewegungen entwickeln kaum Kraft oder Abhärtung, sondern den Einsatz der inneren Energie. Beispiele dafür sind das Spiel der Fünf Tiere, Zehn Meditationen vom Berge Wudang, Bagua Qigong, Fünfzehn Ausdrucksformen des Taiji Qigong, Acht Brokate u.a. Die innere Lenkung des Qi hat in den Kampfkünsten die Funktion, Qi vor allem in die Hände und Arme zu lenken und es dort zu konzentrieren, um es den Techniken, die sich in der Regel über die Hände manifestieren, zur Verfügung zu stellen. Es verbessert zugleich Kraft und Ausdauer von Hand und Arm, aber auch der Beine, sowie das Reaktionsvermögen, ohne die Muskelmasse zu erhöhen.

Zhan-zhuang-gong  -  Pfahlübungen innerhalb der Kampfkünste

Die Pfahlübungen gehören zum ältesten Bestand des Qigong und bilden ein eigenes System des Inneren Qigong. In den Kampfkünsten, vor allem im Shaolin-Stil, haben sie eine weite Verbreitung gefunden. Die Übungen bestehen darin, über einen längeren Zeitraum eine vorgeschriebene Haltung einzunehmen und sie unverändert, oder mit nur geringen Bewegungen beizubehalten. Sehr wichtig ist dabei der Blick. Ziel der Übung ist Ru-jing, der gesammelte, ruhige und klare Geisteszustand. Da die Pfahlübungen bei uns hinreichend bekannt sind, soll hier nur auf die Funktion innerhalb der Kampfkünste eingegangen werden.

Im Shaolin-Kloster war es üblich, aus Gründen der Konzentration, der Entwicklung des Gleichgewichts und der Stärke über längere Zeiträume auf Holzpfählen meditierend zu stehen. Diese Form verbreitete sich vor allem in Süd-China. Geübt wurde anfangs vor allem der tiefe Reiterstand, auch verschiedene Wächterhaltungen, später kamen andere Stellungen, auch auf einem Bein stehend, hinzu. Berühmt war u.a. der Stand Santishi, der Drei-Körper-Stand aus dem Inneren Kampfsystem Xing-yi-quan. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte Wang Xiang-Zhai die Kampfkunst Da-cheng-quan, dessen innere Kraftentwicklung und psychologisches Training hauptsächlich auf den Pfahlübungen aufbaut. Sein System ist mittlerweile zum Standard für das moderne Zhan-zhuang-gong geworden. Wangs Schüler mußten teilweise viele Jahre täglich nur das Stehen üben, bevor sie in die Kampftechniken eingeweiht wurden. Wang sah die Übungen als wesentlich zur Integration von Geist und Körper, Entwicklung von Kampfkraft und einem überlegenen Geist im Kampf.

Nach Wang beginnt man bei den Pfahlübungen mit der Mindestzeit von fünf Minuten und steigert dann die Zeit je nach persönlichen Möglichkeiten auf 20 und mehr Minuten. Es ist weiterhin zu beachten, daß erst nach etwa einem halben Jahr die nächstfolgende Übung die alte ablösen soll.

In den traditionell aufgebauten Kampfstilen kennt ein vollständiges System die sogenannten Bereitschaftshaltungen. Diese Haltungen haben nicht nur einen anwendungsbezogenen Sinn, sondern stellen Haltungen der Konzentration  und des Abwartens dar. Man übt sie, um sich mit dem psychologischen Sinn der Technik und deren Wesen auseinanderzusetzen. Äußerlich gesehen ist es das Verhältnis von Nähe/Distanz, Blick, Gleichgewicht, Rhythmusgefühl, Atmung und eigentlicher Technik. Innerlich gesehen ist es der Kampfgeist, die Initiative, die Wahrnehmung der Situation, Geistesgegenwart und das Nutzen einer günstigen Gelegenheit. Diese Bereitschaftshaltungen sind nichts anderes als Pfahlübungen aus dem System des Zhan-zhuang-gong. In der Kampfform eingesetzt stärken sie durch das je eigene Bild des Energieaufbaus die geistige Kraft des Übenden und können in der angewendeten Form Einflüsse auf die innere Haltung haben. Sie können friedfertig oder aggressiv, fest wie ein Felsen oder weich und geschmeidig wie Wasser sein. In den Bereitschaftshaltungen, die im Kampf eingenommen werden, findet der Kämpfer in der Hitze der Auseinandersetzung wieder zurück zur Mitte, zu seinem Stil und dem Ursprung seiner Kraft. Das ist augenfällig vor allem bei den Tierstilen (siehe weiter unten), wo der Kämpfende aus dem Instinkt eines Tieres heraus kämpft und den Kontakt zu ihm, falls er verloren ging, neu knüpfen kann. In der Form bestimmen die Bereitschaftshaltungen wesentlich den äußeren Rhythmus und stellen das Aktive und Passive in eine Harmonie. Deshalb darf eine alte, überlieferte Form nicht willkürlich verändert werden, solange man nicht weiß, welchen inneren Sinn eine Bewegung innerhalb einer Form hat.

Die Fünf Tiersysteme des Shaolin

Dieses Kampfsystem ist im 16. Jahrhundert im Shaolin Kloster aus dem Konzept der Tierspiele des Arztes Hua Tuo entwickelt worden. Die Fünf Übungssequenzen imitieren den Tiger, den Drachen, den Leoparden, die Schlange und den Kranich. „Der Drache übt den Geist, der Tiger übt die Knochen, der Leopard übt die Kraft, die Schlange übt das Qi und der Kranich übt die Essenz. Wenn die Übung der Fünf Tiere verfeinert werden kann, ist der Körper stark und das Qi reichlich. Die Hände sind beweglich, die Füße sind fest. Die Augen sind scharf und die Gallenblase ist stark.“

Während der Übende die Bewegungen des jeweiligen Tieres imitiert, lehrt ihn der Drache die langsame, starke Kraft, die den Körper innerlich ausbildet, der Tiger gibt ihm die Fingerkraft zum Schlagen und Greifen, der Kranich lehrt ihn, mit schnellen, schnappenden Aktionen aus dem Handgelenk zu arbeiten, die Schlange lehrt ihn das Stechen mit den Fingern, und der Leopard erzielt die tödlichen Knöchelstöße.

Zu jedem Tier wurden harte wie auch weiche Qigong-Übungen entwickelt, teils in Anlehnung an die klassischen Übungen des Hua Tuo, teils durch erweitertes Wissen über ständiges Naturstudium, Beobachtung und Intuition. Tiere waren von jeher geeignet, ein Modell abzugeben für ursprüngliche Kraft und Bewegungsform in einer je sich ändernden Situation. Geübt wurde unter teils extremen Bedingungen und oft sehr realistisch die Einheit von Gestalt, Gestik und Mimik, die Einheit von Vorstellung und Erscheinung, die Nachahmung der Tiere selbst und deren Wildheit, die ganz rein durch sie hindurchströmt mit dem Ziel, in einer Auseinandersetzung zwischen Leben und Tod mit seinen innersten Kraftreserven in Kontakt zu kommen. Ein Moment der Unaufmerksamkeit konnte im realen Kampf den Tod bedeuten! Die Übungspraxis sollte deshalb oft einen Zustand der Trance erreichen.

Das Qigong in den Kampfkünsten, so wie es in den Tiersystemen Eingang gefunden hat, verschafft den Übenden durch fortwährende Praxis (eine Übung wurde oft 50 mal wiederholt) Mittel und Wege, sich Zugang zu diesen vitalen Kräften des Lebens zu verschaffen, die durch bloße Willensanstrengung nicht abrufbar sind. Aus überlieferten Erfahrungen wußten die Alten, daß diese vitalen Kräfte, die man Qi nannte, jenseits jener Grenze liegen, die durch rein physisches Training erreichbar werden kann. Der Weg zu den natürlichen Vitalanlagen des Lebens, den jedes Tier versteht und lebt, ist beim Menschen durch den Anspruch seines rationalen Denkens auf Vorrangigkeit verbaut. Im Qigong der Tiere ahmt man deren äußere Bewegungen und deren inneren Bewegungsimpuls nach, und erreicht eine von innen heraus gesteuerte Bewegungsautomatik, die den Weg zu dieser Kraft des Ursprungs, der Wildheit und Würde, bereitet. Der reale Kampf mit einem Gegner ereignet sich bei den großen Meistern im Versenkungszustand.

Das Bagua Zhang

Das Bagua Zhang gehört wie das Taijiquan zu den berühmten Inneren oder Weichen Systemen der Chinesischen Kampfkunst und ist vielleicht das geheimnisvollste von allen. Die Bewegungen sind kreisförmig und winden sich in Spiralen wie Drachen oder Schlangen. Die Kunst besteht u.a. aus raschen, blitzschnellen Änderungen der Richtung und Stellung der Handflächen. Dieser Stil, der in Deutschland noch recht unbekannt ist, hat seine theoretische Fundierung im Buch der Wandlungen, dem Yi-jing.

Äußeres Qigong wird im Bagua Zhang selten geübt und zwar nur dann, wenn der Schüler noch keinerlei Erfahrungen aus anderen Stilen mitbringt. Denn in der Regel richtet sich das Bagua Zhang nicht an Anfänger.

Der Kämpfer dieses Stils muß weich und blitzschnell reagieren. Seine Schlagkraft, die er in der Regel mit der offenen Hand ausführt, ergibt sich durch seine peitschenartig geführten Bewegungen. Für die Entwicklung von Innerem Qi steht dem Schüler des Bagua Zhang eine Fülle von Qigong-Übungen zur Verfügung. Die sogenannten Kellnerübungen entwickeln die grundlegende Geschmeidigkeit für die typischen Dreh- und Wickeltechniken dieses Stils. Übungen aus dem Stillen Qigong arbeiten vorwiegend mit dem Kleinen und Großen Himmlischen Kreislauf. Jede Schule mit einem kompletten Übungssystem kennt auch eine Qigong-Tierform, die vor allem auf die Entwicklung von Innerem Qi bezogen ist. Gemeint ist das berühmte Im-Kreis-Gehen, das Markenzeichen des Bagua Zhang. Der Übende geht im Kreis, der in der Regel durch einen Pfahl markiert ist, und nimmt dabei verschiedene Stellungen und Handpositionen ein, die auf die entsprechenden Tiere hindeuten und studiert dabei Richtungswechsel und Zentrierung. Die Position bleibt wie bei den bekannten Pfahlübungen unverändert im Oberkörper, nur die Beine sind in ständiger Bewegung. Die Schritte werden eng und in der Regel schnell geführt. Jeder Aspekt der Haltung ist mit äußerster Genauigkeit choreografiert: der Winkel der Füße, die Position der Ellbogen, der Grad der Hüftdrehung. All diese Elemente tragen zur Verbesserung der Stärke und Flexibilität und zur Entwicklung von innerem Qi bei, das vor allem in den Händen konzentriert wird.

Es werden üblicherweise drei Schrittarten eingesetzt:

  • Löwenschritt. Die Ferse setzt zuerst auf, wie beim üblichen Gehen. Man entwickelt die Empfindung, als würde man durch Schlamm waten. Dieser Schritt wird später nur in den Kampfformen eingesetzt.
  • Schlangenschritt. Der ganze Fuß setzt flach auf den Boden auf. Dieser Schritt wird hauptsächlich zur Entwicklung von Innerem Qi geübt.
  • Kranichschritt. Der Fuß wird höher angehoben als im natürlichen Gehen, so als würde man durch hohes Gras laufen. Die Ferse setzt wie beim Löwenschritt zuerst auf. Dieser Schritt findet Verwendung bei der Kombination mit flachen Tritten im Kampf.

Durch das Prinzip einer ausgetüftelten Kombinatorik, dem Buch der Wandlungen entnommen, gehört das Bagua Zhang zu einem der kompliziertesten und anspruchvollsten Kampf- und Bewegungssysteme Chinas.

Das Taijiquan

Das Taijiquan gehört zu den berühmtesten und auch populärsten Inneren Stilen der Chinesischen Kampfkünste. Die alten Chen-Formen dieses Stiles umfassen langsame Speicherung der Energie wie auch blitzartige Kraftentfaltungen im lebendigen rhythmischen Wechsel. In jüngster Zeit ist allerdings der gesundheitliche Aspekt des Taijiquan sehr in den Vordergrund gerückt. Unter diesen Bedingungen könnte man davon sprechen, daß die nur langsam ausgeführten Formen der Überlieferung, der sogenannte Yang-Stil, die den Anteil an Kampftechniken vernachlässigen, eine Spielart des Qigong sei. Es fördert die freie, ungehinderte Qi-Zirkulation im gesamten Körper. Im Fall, daß das Taijiquan auch als eine Kampfkunst erlernt wird, sollte es zusätzliche Qigong-Übungen enthalten. Neben den Fünfzehn Ausdrucksformen des Taiji Qigong bieten sich vor allem die sogenannten Seidenweberübungen an, auf die kurz eingegangen werden soll.

Seidenweberübungen entwickeln die Technik der Ganzkörperbewegung und mit ihr die rechte innere Haltung. Der Schüler strebt in der Ausführung einer Technik in der Regel nach einer Wirkung oder einem Sinn der Anwendung. Der Lehrer aber muß das Bewußtsein des Schülers von der äußeren Wirkung weg und in die Grundlagen der natürlichen Bewegung, d.h. in Haltung, Spannung und Atmung lenken. Die Seidenweberübungen erarbeiten die Grundlage der Gewandtheit, in der der Rumpf und mit ihm das Dantian der tragende Teil der Bewegung wird. Die Gewandtheit ist die Parallele zum Urzustand des in der Natur angepassten Lebens und verbindet sich vorwiegend mit dem intuitiven Empfinden der Umgebung. Als fundamentale und natürliche Form der Bewegung hat sie eine intensive Verbindung zu den tiefsten Schichten der Seele, deren Eigenschaften sie in demselben Maße beeinflusst, wie der Mensch es vermag, Bewegung zuzulassen, statt zu machen, d.h. Vertrauen in seinen natürlichen Ursprung zu finden. In den Seidenweberübungen des Qigong wird der Schwerpunkt weg von der Extremitätenbewegung, dem Geschick, hin zum Empfinden des Rumpfes, geführt. Die traditionelle Lehre, daß jede Handlung sich immer einer zentralen Mitte, dem Dantian, im Menschen bedient, aus der heraus sie entsteht, gesteuert und kontrolliert wird, ist für jeden Übenden der Kampfkunst oberster Leitsatz seiner Praxis und bildet das Fundament dieser Übungen. 

Atmung im Kung Fu

Chinesische Atemtechniken, Tu-gu-na-xin, das Alte ausstoßen, das Neue aufnehmen, haben in den Kampfkünsten vielfältigste Funktionen. Die Atmung ist nicht nur der Gasaustausch, die Atmung ist eine Ganzkörperbewegung, in der durch jede Pore des Körpers Qi bewegt wird. Die Chinesen behaupten, daß die korrekte Atmung Geist und Körper integriert und die Voraussetzungen schafft für den Fluß und den Einsatz des Qi in den Bewegungen. Die Atmung treibt das Qi durch den Körper. Sie führt zu innerer Stärke, stabiler Gesundheit und Vitalität.

Die inneren Stärkungsübungen Qiang-zhuang-gong gehören zu den ältesten Atemtechniken. Sie sind Bestand der daoistischen Meditationspraktiken und sind schwer zu erlernen. In den Kampfkünsten werden sie eingesetzt, um einen tiefen, ausgeglichenen und klaren Gemütszustand zu erreichen.

Die Methode des Stillatmens Jing-hu-xi-fa ist eine Form der sanften Bauchatmung. Shen-hu-xi-fa ist die Methode der tiefen Bauchatmung, die später auch die Zen-Atmung heißen wird. Ni-hu-xi-fa ist die Methode der umgekehrten Bauchatmung, und sollte nur von gesunden Menschen praktiziert werden.

Weiterhin werden verschiedene Energie-/Lichtkreisläufe praktiziert über die hier nicht weiter gehandelt werden soll, weil sie hinlänglich bekannt sind.

Da es in den Kampfkünsten möglich ist, mit der Atmung die Technik zu verstärken, sind verschiedene Methoden entwickelt worden, die Atmung der jeweiligen Situation im Kampf anzupassen. So wird bei den meisten Abwehrtechniken, auf den ein Konter folgt, eingeatmet, und beim Konter wieder ausgeatmet. Werden Abwehr und Konter gleichzeitig ausgeführt, wie oft im Taijiquan, so wird dabei ausgeatmet. Folgen zwei Konter in kürzester Zeit aufeinander, werden beide häufig durch eine einzige Ausatmung miteinander verbunden usw. Man lernt die Atemführung zuerst in der Form, um sie dann im freien Kampf intuitiv einzusetzen. Der Aufbau einer Form folgt deshalb nicht einer willkürlichen Idee, sondern steht mit einem inneren Sinn und der rhythmischen Atemführung in engstem Zusammenhang. Die Grundidee ist immer, Techniken, die Qi abgeben sollen, Fa-jing oder Entladungsenergie, mit einer Ausatmung zu verbinden. Nur ganz selten wird restlos ausgeatmet.

Atmung in Verbindung mit Lauten
1. Liu-zi-jue - das Geheimlied der Sechs Laute

Die Übungen der Sechs Laute verbinden die Atmung mit einer Lautäußerung. Sie gehören zum Bestand der Inneren Übungen und sind vor allem in der Tradition des Taijiquan bekannt. Das hängt damit zusammen, daß die Überlieferung behauptet, Zhang San-Feng, der mutmaßliche Begründer des Taijiquan, sei der Autor dieses Geheimliedes. In der ihm zugeschriebenen Schrift „Geheimlied zum Schmelzen des Inneren Elixiers im Taiji“ heißt es:

„Wenn die beiden Qi-Arten sich noch nicht getrennt haben, sind sie chaotisch im Wuji vermengt. Werden die Positionen von Yin und Yang festgelegt, beginnt das Taiji zu existieren. Der menschliche Körper braucht Leere und Fülle. Beim Üben liegt die Aufmerksamkeit bei der Atmung. Ho, Xü, Hu, Si, Jui und Xi, das sind die sechs Töne. Ihre Heilungskraft für die Organe ist außerordentlich, und ihre Bedeutungen sind die folgenden: Zum Heilen der Leber benutzt man Xü. Singt man den Ton Xü, werden die Augen stark geöffnet. Zum Behandeln der Lunge setzt man Si ein. Beim Si-Singen werden beide Hände auseinandergeführt. Für das Herz singt man Ho, mit den verschränkten Händen über dem Kopf. Die Nieren stärkt der Ton Jui, wobei die Hände die Kniescheiben umfassen. Bei Milzerkrankungen singt man Hu und zieht den Mund angespannt zusammen. Auf dem Rücken liegend singt man Xi, das die Hitze im Dreifachen Brenner zurückdrängt und die Emotionen kontrolliert. Das sind die besonderen Wirkungen der inneren Übungen..“

Z. J. Song, aus dessen Lehrbuch hier zitiert wurde, schreibt: Nach hinreichend langer Übung wird außer einer Verbesserung der Organfunktionen die Muskulatur der Brust- und Bauchhöhlung fest und voll. Dies bewirkt für das Aufnehmen und Zurückschleudern von Angriffen enorme Vorteile.

Die Übung der Sechs Laute stammt aus der daoistischen Überlieferung und wurden früher nur in den Inneren Kampfstilen Chinas, vor allem in den kampfbezogenen Varianten des Taijiquan, praktiziert. Anzufügen wäre noch der Aspekt des Gemütszustandes, den die Übungen über die Organe beeinflussen können. Im Kampf ist vor allem der leere Zustand des Geistes wichtig, der wie ein Spiegel nichts festhält. In der Meditation des Chan wurde dies geübt. Die Laute-Übung erreicht über die Harmonisierung der Organe eine Gemütsruhe, die der Leerheit des Geistes Vorschub leistet. So fließen in den Kampfkünsten das Qigong und der Chan-Buddhismus zusammen und vereinigen sich mit den Kampftechniken zu einem einzigartigen System der Kultivierung.

Atmung in Verbindung mit Lauten
2. Der Kampfschrei

In vielen Kampfkünsten und in speziellen Qigong-Methoden kennt man das laute, schnaufende Ausatmen. Neben der gesundheitlichen Wirkung der Reinigung hat es den Sinn zu lernen, den Atem bewußt in die Kampftechniken hinein zu tragen. „Der Atem des Drachen" ist eine solche Qigong-Reihe und steht in der Tradition der Shaolin-Übungen.

Die bekannteste Verbindung der Atmung mit Lauten ist allerdings der Kampfschrei. Der Kampfschrei ist eine besondere Methode des Qigong und hat zum Ziel, die gesamte zur Verfügung stehende Energie zu bündeln und in einem Schrei, der mit einer Technik einhergeht, zu entladen. Der Kampfschrei (chin. Fa-sheng) setzt eine innere Haltung von besonderer Wachheit, Bereitschaft und Konzentration voraus. Die Meisterung ist sehr schwierig. Für die korrekte Atmung und Kraftübertragung ist es notwendig, den Schrei aus dem Dantian aufzubauen und nicht im Kehlkopf entstehen zu lassen.

Der Kampfschrei hat eine lange Tradition und geht auf die Qigong-Tierstile zurück, in deren archaischsten Stufen die Nachahmung sehr realistisch interpretiert wurde. Schamanen benutzten Tierfelle, die aus rituellen Tötungen gewonnen wurden und ahmten auch die Laute der Tiere möglichst echt nach. Diese Tradition fand wahrscheinlich über den Meister Dai Yetao aus der Provinz Anhui Eingang in die Shaolin-Tradition und entwickelte sich vor allem im Süden Chinas zu einer eigenständigen Übertragungslinie, in der die tierspezifischen Laute dem jeweiligen Kampfstil angepasst und an bestimmten Stellen den Formen eingefügt wurden. Jeder Schrei hatte spezielle Wirkungen auf die Psyche des Kämpfenden und auf den Angreifer. Während die japanische Tradition nur den kiai kennt, werden in den chinesischen Stilen bis zu fünf unterschiedliche Schreie methodisch geschult.

 

Qigong zur Entwicklung von Sensibilität in den Kampfkünsten

Dies ist ein Bereich des Qigong, der esoterisches Wissen schult. Im offiziellen China werden diese Übungen nicht unterrichtet.

Die Alten erkannten, daß jeder Materie, jedem Geschehen zuerst ein Gedanke und dann eine Energie zugrunde liegt, die sich im Raum manifestiert. Den reifen Schülern der Kampfkunst vorbehaltene Übungen entwickeln die Fähigkeit, Dinge zu wissen, die noch nicht in die materielle, sichtbare, mit den Sinnen wahrnehmbare Ebene eingetreten sind. Es ist klar, wie diese Fertigkeiten neben dem intuitiven Einsatz der gelernten Kampftechniken im Kampf Vorteile bringt. Fast alle traditionell aufgebauten Kampfkunstsysteme kennen auf der hohen Stufe ihres Wissens Qigong-Übungen, die die Fähigkeiten sensibilisieren, Gedanken, Anwesenheit und Energie im Raum zu fühlen.

Die aktuelle Situation

Kung Fu bezeichnet heute in der westlichen Welt das Gesamtgebiet der chinesischen Kampfkünste, auch wenn die korrekte Übersetzung in etwa lautet: Übungspraxis, um bestimmte Fertigkeiten, die dem Weg, dem Dao dienen, zu erreichen. Früher integrierte das Kung Fu Qigong in ein und demselben Stil. War der eine Bereich zuständig für die yang-Schulung und die äußere Ausbildung in den Kampftechniken, so beinhaltete das Qigong den inneren Aspekt und diente oft dazu, die im Kampftraining verbrauchte Energie dem Körper wieder zuzuführen. Der spirituelle Aspekt, nämlich die erreichten höheren Fertigkeiten nur für die Selbstverteidigung zu verwenden und die Kampfsituation weiter zu fassen als nur von einem Gegner oder Feind zu sprechen, gehörten dazu. Heute hat man Glück, Lehrer zu finden, die umfassene Schulung besitzen, beides innerhalb eines Stils zu unterrichten. Kampfsportschulen haben mittlerweile Qigong in ihrem Angebot aufgenommen um, ökonomisch tüchtig, auch andere Interessensgruppen aufzunehmen. Dieses Qigong aber integriert sich nicht in den Stil und wirkt im Rahmen eines davon unabhängigen Kurses wie aufgesetzt. 

Die harten Systeme Chinas wie auch die Kampfstile anderer Länder, wie Karate, Judo, Tae Kwan Do, Jui Jutsu u.a. haben nur in ihrer traditionellen Ausrichtung Qigong und Meditationspraxis als integralen Bestandteil. Im übrigen hatte es viele Jahre gedauert, bis bspw. das sehr subtile Qigong im japanischen Karate japanisiert werden konnte. Der überwiegende Anteil der Sportschulen unterrichten Kampfkunst als Kampfsport, d.h. als eine Wettkampfdisziplin mit einer klaren sportlichen Ausrichtung, um entsprechendes Publikum anzulocken. Der offensichtliche Nachteil ist, daß der energetische Aspekt der Schulung verloren geht. Es kommt hinzu, daß die Höchstleistung wie auch der körperliche Abbau viel früher einsetzt als im Stil angelegt. Die Folgen davon sind, daß Verletzungen infolge fehlender Geschmeidigkeit und Elastizität die Regel sind. Auch die Schulung der Persönlichkeit, früher integraler Bestandteil, geht verloren.

China selbst ist an diesem Prozeß der Auflösung nicht unbeteiligt, da es seit der Kulturrevolution nicht erwünscht ist, diese Aspekte des Qigong, Produkt eines feudalen Erbes, weiterhin zu unterrichten: Die Versportung der traditionellen Kampfkunst begann in China! Alten Lehrern wurde untersagt, das Wissen weiterzugeben, wenn sie überhaupt die Kulturrevolution überlebt hatten. Die Meisterschüler, jung, ambitioniert, sportlich professionell, sind kaum spirituell interessiert und in ihrer Persönlichkeit selten gefestigt, um Qigong authentisch zu unterrichten. Eine Ausnahme bildet die Tradition des Shaolin-Kung Fu. Hier aber ist es vor allem das Harte Qigong, das bei Aufführungen das Spektakel der Unverwundbarkeit bietet, das eine junge westliche Generation sehen will. Und doch sind Meister, die das gesamte Wissen eines Stiles weitergeben, mittlerweile zum großen Teil im Ausland tätig, weil die Bereitschaft der Menschen und die Arbeitsbedingungen günstiger als im Mutterland sind.

Für die Zukunft der asiatischen Kampfkünste nicht nur in der westlichen Welt ist es wichtig, daß interessierte Lehrer den Weg für die Zusammenarbeit mit Meistern des Qigong suchen, um den yin-Aspekt in ihr System zu integrieren.

Anmerkung:

Diese Einleitung in das Qigong in den Kampfkünsten hätte nicht geschrieben werden können ohne die Zuhilfenahme des grundlegenden Buches von Gabi Lind, Qigong in den Kampfkünsten, Berlin 1998 und dem verdienstvollen Lexikon der Kampfkünste von Werner Lind, Berlin 1999. Stellen daraus wurden zitiert ohne immer eigens die Autorenschaft zu erwähnen. Darüber hinaus bin ich meinen eigenen Lehrern für Fragen und Unterweisungen zu Dank verpflichtet.

Bernhard Urbach, Stralsund